Kennen Sie Margret und Harry T. aus dem Suhler Himmelreich? Zugegeben, ich habe das Ehepaar, sie 76 Jahre, er 81, bislang auch nicht gekannt. Dieser Tage habe ich die Süddeutsche Zeitung im Internet gegoogelt und einen großen Beitrag über Suhl gefunden. Und in eben diesem sind Margret und Harry T. so etwas wie der rote Faden für die Journalistinnen Jessy Asmus und Anna Fischhaber. "Leben in einer schrumpfenden Stadt" ist ihr Beitrag betitelt. Die beiden älteren Herrschaften sind nette, sympathische Leute, die seit 50 Jahren in ihrer Wohnung im Himmelreich, früher Leninring, wohnen. Ich glaube Ihnen, dass es schwer fällt, irgendwann umzuziehen, sich nach 50 Jahren verändern zu müssen, weil ihr Plattenbau im Abrissprogramm des Wohnungsunternehmens steht. Die Journalistinnen nutzen oder treffender gesagt, sie benutzen nun eben die Traurigkeit und Resignation dieses Suhler Ehepaares, um den Lesern der Süddeutschen vorzuführen, wie Stadtumbau im Osten funktioniert. Journalistische Konzentration auf das Himmelreich im Wohngebiet Ilmenauer Straße und natürlich ein Ausflug nach Suhl-Nord. Beschreibung des Beschriebenen erübrigt sich.
Als Journalistin schätze ich die Süddeutsche als eine der besten deutschen Tageszeitungen. Ihr Renommee: gut geschriebene und vor allem bestens recherchierte Beiträge. Der über Suhl ist leider die gewisse Ausnahme. Recherche? Nicht stattgefunden! Dafür ein Duktus, untersetzt mit trostlosen Plattenbau-Fotos, der jedem Leser, aber auch wirklich jedem, jedwede Lust nimmt, in Suhl irgendwann einen Stopp einzulegen. Dabei existieren in der Stadt, die idyllisch in eine Berglandschaft eingebettet ist, jede Menge Hotels und Pensionen. Und das sind keine Absteigen, sondern zum großen Teil Vier-Sterne-Häuser, in denen sich Touristen und sogar namhafte Künstler, Schriftsteller oder Sportler wohlfühlen. Immerhin hat sich Suhl als großflächige Stadt den Titel „Staatlich anerkannter Erholungsort“ erarbeitet. Solch ein Prädikat, erhält das eine Stadt, über die es im Beitrag heißt: „Manche sagen Geisterstadt“?
Nein, an eine dahinrottende Stadt würde ein solches Markenzeichen nicht vergeben. Aber um das zu erkennen, hätten die Münchener Kolleginnen vielleicht in die zahlreichen Suhler Kindergärten schauen, dem Tierpark oder der modernen Bibliothek einen Besuch abstatten müssen. Sie hätten sich auch in der Fußgängerzone, in den Cafés oder Innenstadt-Geschäften oder dem neuen Aue-Kaufpark ein Bild machen können, die Neubauten der AWG oder die sanierten Wohn-Hochhäuser der Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft unter die Lupe nehmen oder die Verantwortlichen dieser Wohnungsunternehmen zum Stadtumbau befragen können oder einen Suhler Architekten, der es drauf hat, leere Plattenbau-Schulen zu modernen altersgerechten Wohnanlagen umzubauen. Sicher hätte auch der IHK-Chef etwas zu sagen gehabt, weshalb die IHK ausgerechnet im Suhler Stadtzentrum ihr neues Verwaltungsgebäude errichtet hat. Ach ja, sanierte Schulen gibt es da ja auch noch, neue Eigenheimsiedlungen, Gewerbegebiete, ein attraktives Kino, das Congress Centrum, in dem mit dem MDR-Rundfunksinfonieorchester in der Welt gefeierte Solisten auftreten oder Florian Silbereisen im Dezember gefeiert wird, wenn er in einer ARD-Show die berühmten 1000 Lichter anzündet. Los ist eigentlich fast an jedem Wochenende etwas. Welche Stadt hat beispielsweise eine Kinder-Kulturnacht im Angebot? Oder Junioren-Weltmeisterschaften im Sportschießen?
Sicher ist Suhl nicht mit München oder Starnberg zu vergleichen, auch was die städtischen Finanzen betrifft. Aber ein Preisvergleich für Mieten, Bauplätze, Kindergärten..., der hätte sich auch gelohnt.
Wenn Margret und Harry T. irgendwann umziehen und ihrem Vermieter dabei treu bleiben, dann zahlt der übrigens den Umzug. Das gehört in Suhl auch zum Stadtumbau-Programm. Margret und Harry T. leben und lieben ihren Garten unweit des Himmelreiches, dort verbringen sie viel Zeit. Das sollen sie auch, denn das ist ihre Welt, in der sie Glück und Lebensqualität empfinden. Aber die beiden sind eben nur zwei von derzeit 36000 Einwohnern! An ihnen allein kann man keine Stadtumbau-Geschichte festzurren. Das ergibt ein total falsches Bild von Suhl und vom Osten überhaupt.
Ingrid Ehrhardt, Fraktionsvorsitzende Freie Wähler Suhl
Journalistin und Stadträtin (und Mitbeschließerin des Stadtentwicklungsprogramms ISEK für Suhl im Jahr 2008)
Lese-Empfehlung: "Ohne Abrisse wären wir heute wirtschaftlich tot" von Georg Vater, Freies Wort, Lokal Suhl, 14.06.2017